Perle des fünften Kontinents
Sydney verdankt seine Attraktivität einem bunten Stammbaum. Die Maschine sinkt aus der dünnen Wolkendecke herunter, der Himmel gewinnt an Blau, dann endlich ist Land in Sicht. Und dann ist Stadt in Sicht, ein weißes Häusermeer, schließlich das Blau der Buchten am Pazifik.
Und schon von oben aus dem Fenster des Flugzeugs sieht man: Dies muss eine der schönsten Städte der Welt sein. Es ist ein Glücksgefühl, wenn man jetzt einen Fensterplatz auf der richtigen Seite hat und durch das Bullauge freie Sicht – weiße Tupfer vor blauem Grund zeichnen sich ab, oben sind es Fetzen von Schönwetterwolken, unten Fassaden von Einfamilienhäusern.
Und dann immer wieder diese blauen und türkisfarbenen Wasserflächen, eine Bucht, die sich durch den Küstensaum knabbert, schließlich die Skyline der Innenstadt mit ihren Hochhäusern und den beiden Wahrzeichen, Opernhaus und Hafenbrücke.
Sydney gilt mit 12.400 Quadratkilometern als eine der flächengrößten Städte der Welt. Aber das Bild täuscht, denn der Siedlungsbrei, der sich rund 70 Kilometer ins
Landesinnere frisst und 50 Kilometer breit am Pazifikrand erstreckt, wird zur Metropole hinzugezählt. So bringt es Australiens größte Stadt auf knapp vier Milllionen
Einwohner.
Die Innenstadt aber lässt sich binnnen weniger Stunden erwandern. Sydney verdankt seine Attraktivität einem bunten Stammbaum:
1770 entdeckte der englische Globetrotter James Cook die Bucht von Port Jackson, acht Jahre später kam sein Landsmann Arthur Phillip, erklärte die reizvolle Gegend zur britischen Kronkolonie und benannte sie nach dem Innenminister Lord Thomas Townsend Sydney.
Später schickten Englands Majestäten unliebsame Querulanten in die Sträflingskolonie, darunter auch Iren und Schotten. Keimzelle des fünften Kontinents waren “The Rocks“, die Altstadt von Sydney, benannt nachdem steinigen Untergrund des Hafenviertels.
Hart ging es dort zu: Schlägerbanden prügelten sich in den dunklen Gassen; die Kneipen lockten mit allerhand Fusel Gesindel herbei, bis an der Schwelle zum 20. Jahrhundert die Pest ausbrach und den bröckligen Rocks den Rest gab.
Erst in den 1970er-Jahren besannen sich die Australier auf ihr Erbe und retteten die kümmerlichen Spuren der Gründerzeit-Architektur. Heute erstrahlen die Rocks wie ein städtebauliches Juwel, belebt von griechischen, italienischen und deutschen Gastronomen, von schicken Boutiquen und liebevoll gestalteten Galerien.
Fernöstliches Flair verbreiten die Chinatown, der chinesische Garten und die Scharen japanischer Touristen, die ihren Kameras wahre Dauertests zumuten. Zum Beispiel am Mrs. Macquaries Point am Rande des herrlichen botanischen Garten mit diesem malerischen Blick auf die Sydney Cove, auf Opernhaus und Hafenbrücke.
Hierhin werden Nippons Töchter und Söhne in Bussen hergebracht. Dann bauen sie Holzbänke zu Tribünen für das Gruppenfoto auf, nur, um Minuten später wieder
weiterzuziehen.
Für amerikanischen Charakter sorgen die Hochhäuser der Innenstadt, gekrönt vom knapp 305 Meter hohen Sydney Tower. Von oben genießt man den Panoramablick – Richtung Darling Harbour im Südwesten und weiter zur Homebush Bay, wo im Jahr 2000 die olympischen Spiele ausgetragen wurden.
In dieser Richtung, zu Füßen des Turms, befindet sich auch das altehrwürdige Queen Victoria Building, ein einst dem Abriss geweihtes und dann doch eindrucksvoll renoviertes Einkaufszentrum.
Im Süden liegt das Rathaus, im Osten ist die St. Mary’s Cathedral zu sehen, erbaut 1868 bis 1882 im neugotischen Stil nach dem Vorbild im englischen Lincoln. Im Norden dann das Wasser und die 1932 vollendete Hafenbrücke, die von den Australiern Coathanger, (Kleiderbügel) getauft wurde.
Seit einigen Jahren werden sogar Klettertouren über den Rundbogen der Brücke angeboten – sicherlich 22 keine verlockende Idee für Menschen mit Höhenangst, denn der
Gipfel liegt 134 Meter über dem Wasser der gut 500 Meter breiten Bucht.
Acht Jahre lang haben bis zu 1.400 Bauhandwerker an diesem Konstrukt mitgewirkt. Trotz eines Tunnels, der zur Entlastung des Brückenverkehrs nach North Sydney 1992 gebaut wurde, queren immer noch mehr als 170.000 Fahrzeuge täglich das Bauwerk. Erst 1973, zehn Jahre später als ursprünglich angedacht, wurde das weltberühmte Opernhaus durch Königin Elisabeth II. eingeweiht.
Das Sydney Opera House mit seiner vom Dänen Jørn Utzon entworfenen an Segel erinnernden Dachkonstruktion, ist weit mehr als nur ein Musentempel. Drei Theater, ein Konzertsaal, ein Kino, Räume für die Gastronomie und für Ausstellungen, Proberäume und Bibliothek machen aus dem Komplex ein gewaltiges Gesamtkunstwerk.
Der schönste Platz aber ist draußen – zum Beispiel, wenn die Griechen am 28. Oktober – mitten im australischen Frühling – unter ihren blau-weißen Flaggen und in Landestracht ihren Nationalfeiertag begehen.
Dann wird gesungen, gelacht und geschwätzt, unter strahlend blauer Sonne, mit Blick auf den Hafen und den Luna Park auf der anderen Seite der Bucht. Auch dort wird gesungen, gelacht und geschätzt, allerdings ohne Fahnen und Kostüme.
An einem solchen Tag erscheint Sydney wie ein einziger kosmopolitischer Zirkus.