Ryder Cup: Historisches Comeback

Erst einmal war im seit 1927 ausgespielten Ryder Cup ein 6:10-Rückstand noch in einen Sieg umgewandelt worden, und nie war das auswärts vor feindseligen Fans geschehen. Aber Europas 12 Helden schafften, was ihnen fast niemand nach den ersten beiden Tagen des 39. Ryder Cups in Medinah, Illinois zugetraut hatten: Sie gewannen 8,5 von 12 möglichen Punkten am Schlusstag und nahmen die berühmteste Trophäe der Golfwelt wieder zurück ins Flugzeug.
Besonders für Martin Kaymer war es ein spektakulärer Erfolg. Er galt als formschwächster Golfer des europäischen Teams und war zuvor nur am Freitagnachmittag zum erfolglosen Einsatz gekommen. In den Singles aber muss jeder Golfer ran. Europas Kapitän José María Olazábal hatte seine vermeintlich stärksten Stars an den Anfang des Spielplans gesetzt. Und Luke Donald, Ian Poulter, Justin Rose und Rory McIlroy enttäuschten ihn nicht. Die vier Briten und der an fünf spielende Schotte Paul Lawwrie gewannen alle ihre Matches gegen Bubba Watson, Webb Simpson, Phil Mickelson, Keegan Bradley und Brandt Snedeker.
Außer dem Starter Donald, der gegen Watson früh in Führung ging und seinen Vorsprung nie mehr aus der Hand gab, war es allerdings ein langes Zittern, bis die Paarungen auf dem Leaderboard nach und nach alle in europäisches Blau getüncht wurden. Ian Poulter lag bis zum 13. Loch gegen Simpson zurück und ging erst auf der 17 zum ersten Mal in Führung. Auf der 18 spielte er einen fantastischen Schlag aus dem Wald rechts der Spielbahn aufs Grün und bezwang so US Open-Champion Simpson. Poulter steuerte insgesamt vier Punkte zum europäischen Sieg bei und war der wichtigste Mann im Team.
Wer zuletzt lacht, schreibt Geschichte
Justin Rose lag noch nach 16 Löchern gegen den stark annähernden Phil Mickelson zurück und hielt nur mit einem Vier-Meter-Par-Putt überhaupt noch eine Siegchance aufrecht. Die verwandelte er dann auf den letzten beiden Bahnen mit einem 12-Meter-Putt und einem Vier-Meter-Birdie auf der 18. Paul Lawrie, der 43-jährige Schotte, der 1999 zuletzt für Europa gespiel hatte, bezwang Brandt Snedeker, der eine Woche zuvor elf Millionen Dollar bei der Tour Championship gewonnen hatte, klar.
Rory McIlroy wiederum war erst wenige Minuten vor seinem Abschlag überhaupt auf dem Course No. 3 eingetroffen – von einem Polizeiwagen gebracht. Die Nummer eins der Welt hatte sich in der Tee Time geirrt, weil Chicago in der Central Time Zone liegt und McIlroy die Zeiten dem Fernsehen entnommen hatte und sie dort in Ostküstenzeit vermeldet waren. Eine unglaubliche Geschichte, aber sie konnte McIlroy, der sich vor dem Abschlag schnell noch mit Bananen und Schokoriegeln stärkte, nicht davon abhalten, den zuvor so entfesselnd aufspielenden Ryder Cup-Rookie Keegan Bradley in die Schranken zu weisen.
So gab es viele Helden im europäischen Team, für das auf einmal die Putts fielen, die an den Vortagen noch den Amerikanern vorbehalten waren. Die Amerikaner spielten gut, aber als das Blatt sich zugunsten der Gäste zu wenden begann, zeigten sonst so sichere Putter wie Steve Stricker oder Matt Kuchar Nerven und gerieten in ihren Matches gegen Martin Kaymer und Lee Westwood ins Hintertreffen. Kaymer spielte im vorletzten Match gegen Stricker, das letzte Duell bestritten Francesco Molinari und Tiger Woods.
Martin Kaymer: Keine gute Saison, keine gute Runde: Aber ein großer Putt
Vor dem Wochenende wären beide Europäer als klare Außenseiter in diesen Matches angesehen worden. Aber Olazábal hatte seine Auswahl nicht umsonst getroffen, und als es darauf ankam, zeigten sich Kaymer und Molinari dem Druck gewachsen, der allerdings für die Amerikaner vor 50.000 eigenen Fans und mit dem Gefühl, vor einem historischen Versagen zu stehen, noch größer gewesen sein mochte.
Sechs der 12 Matches wurden erst auf dem letzten Loch entschieden, und nur eines dieser Sechs gewann die USA. Kaymer, der mit einem Dreiputt auf der 15 seine Führung gegen Stricker verspielt hatte, schien da Nerven zu zeigen. Aber als Olazábal auf der 16 zu ihm kam und ihm sagte, dass sein Match das entscheidende sein würde, da wuchs der Deutsche über sich hinaus. Er liebe diese Verantwortung, sagte Kaymer hinterher der BBC, und obwohl er insgesamt keine überragende Runde gespielt hatte (73 stand auf seiner Scorekarte, wie bei Gegner Stricker – im Vergleich dazu spielte etwa Justin Rose eine 66), war Kaymer dann zur Stelle, als er gebraucht wurde.
Als Stricker auf der 17 drei Putts vom Vorgrün aus brauchte, versenkte Kaymer seinen Parputt und ging in Führung. Auf der 18, die er nur noch teilen musste, um Europa den Ryder Cup zu sichern, schlug Kaymer in den Fairway-Bunker ab, recoverte aber stark aufs Grün, während Stricker, vom Adrenalin getäuscht, viel zu weit annäherte und seinen langen Birdie-Putt klar verfehlte. Kaymer brauchte nun nur noch in zwei Putts einzulochen, um das Match zu gewinnen.
Als der Deutsche seinen ersten Putt wie schon einige Löcher zuvor bei seinem Dreiputt viel zu aggressiv spielte, schien die Titelverteidigung noch einmal in Gefahr zu geraten, denn Stricker schaffte das Par. Aber aus knapp zwei Metern versenkte Kaymer seinen Par-Putt ebenfalls und wurde von seinen jubelnden Teamkollegen umringt. 1991 in Kiawah Island hatte Bernhard Langer, Deutschlands einziger anderer Ryder Cup-Golfer, einen genau solchen Putt noch vergeben und Europa den Sieg gekostet.
Den unglaublichen Sieg, für den man bei manchen Buchmachern am Sonntag eine Quote von 25 für eins bekommen hätte, sahen die Europäer als Tribut an Severiano Ballesteros. Europas Golflegende, die 2011 im Alter von nur 54 Jahren verstorben war, hatte nie aufgegeben und war für ihre spektakulären Comebacks berühmt gewesen. Als Andenken an Seve hatten die Europäer am Schlusstag Dunkelblau getragen, die Lieblingsfarbe des Spaniers.
In den USA begannen schon unmittelbar nach dem Debakel die Diskussionen um Stricker und Jim Furyk, zwei der Wild Cards von Kapitän Davis Love III, die dem Druck am Sonntag nicht gewachsen waren. Aber es wurde so großartiges Golf von beiden Teams gezeigt, dass es eigentlich völlig unangebracht wäre, ein negatives Fazit nach einem der großen Tage der Sportgeschichte zu ziehen. Das hätte auch Severiano Ballesteros nicht gewollt.