US Masters: Tiger Woods im Regel-Dschungel

Viele werden vor diesem Hintergrund froh sein, dass Adam Scott und nicht Tiger Woods das US Masters gewonnen hat. Denn das hätte womöglich das Ansehen des Masters und des Sports beschädigt.
Die Regeln im Golf sind kompliziert und sie sind streng, ja manchmal sogar brutal. Aber sie gehören zu diesem Sport ebenso wie der penible Umgang mit ihnen. Die Regeln sind die Basis für die Gleichbehandlung aller Spieler und es gehört zum Fairplay, dass Spieler Regelverstöße selbstständig anzeigen. Dafür gibt es in der Vergangenheit zahlreiche Beispiele.
Brian Davis zum Beispiel zeigte sich im Stechen beim Verizon Heritage gegen Jim Furyk 2010 selbst an, weil er beim Rückschwung einen losen Reethalm gestreift hatte. Wegen des Berührens eines „losen hinderlichen Naturstoffs“ bekam er zwei Strafschläge (Regel 13-4) – der mögliche Turniersieg war futsch. Auf den TV-Bildern war die Berührung nur in Zeitlupe und bei genauem Hinschauen zu registrieren.
Einfluss auf den Schlag hatte diese Berührung nicht, einen Vorteil verschaffte sie Davis natürlich auch nicht. So gesehen mag einem Außenstehenden eine solche Entscheidung unsinnig vorkommen, doch sie ist im Sinne der Regeln und des Sports. Denn Abstufungen, bis wann das Bewegen eines hinderlichen Naturstoffs möglicherweise erlaubt sein sollte oder nicht, lassen sich nicht definieren. Entweder ganz oder gar nicht, von daher erntete Davis für seine Selbstanzeige viel Lob und Anerkennung.
Eine solche Chance ließ Tiger Woods ungenutzt. Dabei ist es unerheblich, dass der Superstar von den Turnier-Verantwortlichen des US Masters einen Freifahrtschein für die weitere Teilnahme bekam und sein falscher Drop somit nachträglich legitimiert wurde. Woods durfte also im Sinne der Regeln – oder zumindest in dem Sinne, in dem die Offiziellen diese in seinem Falle interpretierten – weiterspielen. Genau das sorgte für einen faden Beigeschmack und heftige Diskussionen.
Denn unabhängig von der Entscheidung der Offiziellen beim US Masters ist eines klar: Tiger Woods hat einen Regelverstoß begangen. Die Umstände am zweiten Tag an Loch 15 waren äußerst unglücklich, aber das darf kein Argument sein. Der Ball von Woods war gegen den Fahnenstock geprallt und anschließend ins Wasser gerollt. Dafür gab es einen Strafschlag und natürlich musste Woods den Ball droppen. Von drei Möglichkeiten wählte der 37-Jährige die Variante, den Ball so nah wie möglich an der Stelle zu droppen, von der er den Annäherungsschlag ausgeführt hatte.
So nah wie möglich bedeutete für Tiger Woods, dass er bewusst zwei Yards weiter nach hinten ging, um eine für ihn bessere Distanz zur Fahne zu haben. Der erste Schlag war ja ein wenig zu lang. Er droppte also an der falschen Stelle und verstieß gegen die Regeln. Das hat normalerweise zwei Strafschläge zur Folge. Als Woods weiterspielte und schließlich ein Bogey rettete, notierte er eine Sechs auf der Scorekarte.
Im Prinzip ist das der zweite Fehler, denn er notierte nicht die zwei Strafschläge, die sein falscher Drop ihm eigentlich eingebracht hätte. Somit unterschrieb er am Ende der Runde eine Scorekarte mit dem falschen Ergebnis. Für diesen Regelverstoß gibt es nur eine Konsequenz: Die Disqualifikation!
Soweit die Theorie, die Praxis sah anders aus. Nach dem falschen Drop von Woods gab es einen Call eines TV-Zuschauers, der darauf aufmerksam machte. Auch das ist im Golfsport nicht ungewöhnlich. Noch während Tiger Woods auf seiner Runde war, prüften die Offiziellen am Fernseher den Drop und beurteilten diesen als korrekt.
Die Diskussionen löste Tiger Woods selber mit einem Interview aus, in dem er erklärte, dass er zwei Yards weiter nach hinten gegangen war. Doch wie sollten die Verantwortlichen nun verfahren? Sie selbst hatten den Drop bereits legitimiert, doch nun war klar, dass er eben doch nicht den Regeln entsprechend ausgeführt wurde.
Den Ausweg lieferte die Regelergänzung 33-7/4.5, die vor zwei Jahren als „Harrington Rule“ eingeführt wurde. Padraig Harrington war 2011 einmal disqualifiziert worden, nachdem er beim Platzieren seines Markers auf dem Grün seinen Ball touchiert hatte. Er hatte dies bemerkt, war jedoch der Meinung, dass sich der Ball nicht bewegt hatte. Auch hier zeigten TV-Zeitlupenaufnahmen hinterher eine minimale Bewegung des Balles. Harrington hätte zwei Strafschläge notieren müssen, was er eben nicht tat. Disqualifiziert wurde er schließlich wegen der von ihm unterschriebenen nicht korrekten Scorekarte.
Die Harrington Rule wiederum besagt, dass ein Spieler, der sich seines Regelverstoßes nicht bewusst ist und daher am Ende eine falsche Scorekarte unterzeichnet, nachträglich mit der für den ursprünglichen Regelverstoß vorgesehenen Strafe bedacht werden kann, an Stelle der Disqualifikation.
Es wurde also eine Regel eingeführt, die dafür sorgt, dass ein Spieler für einen Regelverstoß nicht im Sinne der ursprünglichen Regeln bestraft wird. Es gibt also plötzlich einen Ermessensspielraum für die Offiziellen. Dieser wurde im Fall Tiger Woods nun genutzt, immer vorausgesetzt, Woods wusste nicht, dass er einen Fehler gemacht hat.
Im Nachhinein einen Schuldigen oder Verantwortlichen für diesen Vorfall zu suchen, ist müßig. Wie schwer eine Beurteilung ist, zeigen die unterschiedlichen Reaktionen. Grame McDowell twitterte: „Nimmt man den Namen Tiger Woods aus dieser Diskussion heraus, dann ist es ein faires Urteil.“
David Duval sah das anders: „Er sollte freiwillig aufgeben. Er hat den Drop so ausgeführt, um sich einen Vorteil zu verschaffen“, sagte der ehemalige Majorsieger. Und Hunter Mahan wollte sich gar nicht recht entscheiden: „Wenn du denkst, dass Tiger disqualifiziert werden sollte, dann liegst du nicht falsch. Wenn du meinst, zwei Strafschläge reichen, dann liegst du auch nicht falsch. Ich kenne die richtige Antwort nicht.“
Und Tiger Woods? Der akzeptierte die Strafe und erklärte, dass er laut der Regeln weiterspielen dürfe. Auch damit lag er nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. „Regeln sind Regeln“, hatte Tiger Woods wenige Stunden vor seinem Fauxpas noch in einem anderen Fall erklärt. Es ging um den 14-jährigen Chinesen Guan Tianlang.
Der jüngste Masters-Teilnehmer der Geschichte hatte einen Strafschlag für zu langsames Spiel kassiert und dadurch beinahe den Cut verpasst. Guan hatte mehrfach die vorgeschrieben Zeit für die Schlagausführung überschritten und war vor der Bestrafung auch schon ermahnt worden – alles absolut regelkonform.
Regelkonform wäre auch ein Ausschluss von Tiger Woods gewesen, ein neu geschaffenes Schlupfloch wies ihm und den Offiziellen einen Ausweg. Im Sinne des Sports und des Fairplay hätte Tiger Woods auch einen anderen Weg gehen können, der ihm neben seinen sportlichen Reputationen eine Menge Respekt eingebracht hätte. Diese Chance ließ er ungenutzt.